Die Maschine und ich

Kann eine Sprachanalyse-Software, von der behauptet wurde, dass sie nach kurzer Zeit anhand eines Interviews mit eher banalen Fragen entscheiden könnte, ob ich für einen Führungsjob geeignet bin, Bauchgefühl und Menschenkenntnis in den Schatten stellen?

Wenn wir wissen, wie faul unser Gehirn sein kann, sind wir davon nicht überrascht. Menschen, die uns ähnlich sind, die über die gleichen Witze lachen oder vergleichbare Herangehensweisen an Situationen haben, findet das Gehirn automatisch besser. Das ist ihm vertraut. Es fühlt sich wohl, wenn es ähnliches erkennt.

Aber ist das die beste Idee für einen Personaler oder einen Geschäftsführer? Brauchen wir in Firmen immer kleine Kopien vom Geschäftsführer oder Personalleiter? Wer die Frage mit nein beantwortet, könnte sich mit einer unbestechlichen Form der künstlichen Intelligenz beschäftigen. Sprachmuster, eine lernende Software und als Grundlage einige tausend Interviews mit Fremd- und Eigenbetrachtung bilden die erste Grundlage. Algorithmus schlägt Menschenkenntnis. Künstliche Intelligenz ersetzt Vorurteil und Meinung. Kann man sich wirklich davon freimachen, dass Frauen mit Schleier andere Werte haben als Norwegerinnen? Ist es mir egal, ob jemand das Gesicht voller Piercing hat oder ein stiernackiger Bodybuilder ist? Bei jedem Klischee poppt unwillkürlich ein Vorurteil im Kopf auf. Bei jedem von uns. Bei einer Software passiert das nicht.

Talanx, Fraport und Randstad stehen schon auf der Referenzliste des Aachener Start-ups Precire Technologies GmbH. Und nun starte also auch ich einen Versuch. Mit einem Zugangscode erreiche ich die Software wann immer ich will. Telefoniere ich gerne nachts? Das würde die Maschine nicht stören.

Nur 20 Minuten hat es gedauert, bis ich alle Fragen beantwortet hatte, die harmlos daherkamen und ausdrücklich zum Plaudern („beschreiben Sie ausführlich…“) einluden. Wie ich den Sonntag verbringe? Wie ich entspanne? Worüber ich mich freue?

Nach zwei Tagen hatte ich einen Telefontermin mit einem richtigen Menschen, der mir viel über den Aufbau und die Möglichkeiten der Software erklärte. Wie ich mir als Arbeitgeber die Stellenprofile zusammenstellen kann und entsprechende Skills dazu festlege. Als wir mit meiner persönlichen Auswertung am Ende waren, streitete ich eine 95% Trefferquote ab. Es waren 100%. Mit allen Fehlern und unschönen Eigenschaften von mir. Das ist gleichzeitig faszinierend wie beängstigend.